Über uns

Von Spaltungen und solidarischen Streitkulturen: 

nachhallende Gedanken und Fragen zum Statement von Migrantifa Bremen – Perspektive 2.0

von der Gruppe Women* of Color Bremen

Am 19. August 2020 wurden in Bremen wie in vielen anderen deutschen Städten der Ermordeten aus Hanau gedacht. Der Mord an unseren 9 Schwestern* und Brüdern* of Color hat auch uns als Gruppe Women* of Color, die wir uns als Teil der BIPoC Community Bremen verstehen, unendlich hart getroffen. Wir sind mit unseren Herzen und Gedanken bei den Familien und Freund*innen, die ihre Liebsten am 19. Februar verloren haben. In Bremen wurde die Gedenkveranstaltung jedoch überschattet von anderen Ereignissen, die einem würdigen Gedenken, wie wir finden, nicht gerecht wurden.  

Mit dem Verfassen der folgenden Zeilen begeben wir uns in einem Widerspruch. Denn auch unsere Zeilen werden dem Gedenken an die Ermordeten in Hanau nicht gerecht, werden der Trauer der Hinterbliebenen nicht gerecht. Und zugleich möchten und können wir nicht zu jenen Ereignissen schweigen. In diesem Bewusstsein schreiben wir.  

Einige von euch haben in der vergangenen Woche das Statement von Migrantifa Bremen gelesen, in dem sie ihre Perspektive auf die Vorkommnisse während und nach der Demo schildern. So auch wir. Einige von euch haben das Statement geliket und geteilt. Uns hat das Statement nicht zum Like-Button-Drücken und Teilen angeregt. Sondern es hat Fragen aufgeworfen. Fragen, Gedanken und vor allem Schmerz. Im Folgenden möchten wir eine weitere Perspektive entwerfen. Wir werden dafür grob die Geschehnisse, wie wir sie erlebt haben, darstellen. Anschließend möchten wir unsere Fragen, Gedanken und Analysen, die aus unseren Gesprächen und kontroversen Diskussionen beim Lesen der Stellungnahme entstanden sind, vorstellen. Wir tun dies in der Absicht, unsere Perspektiven im Sinne einer ergänzenden Lesart unseren BIPoC-Mitstreiter*innen in dieser Stadt zu Verfügung zu stellen und unsere offenen Fragen mit ihnen zu teilen. Wir tun dies, immer wieder mit dem Blick auf unsere grundsätzliche Frage, wie wir Bündnisse stärken können, um die derzeitigen Verhältnisse, die geprägt sind von diversen Rassismen wie Antimuslimischer Rassismus, Anti-Schwarzer Rassismus, Gadjé-Rassismus, die geprägt sind von Sexismus, Antisemitismus, Kapitalismus, ökonomischer Ungleichheit… überwindbar zu machen.

Mashallah, in Bremen…

Auf der Gedenkveranstaltung am 19.8. erlebten wir, wie eine Aktivistin of Color, die auch Fraktionsvorsitzende der Linken ist,von der Bühne aus verantwortlich gemacht wurde für den Versuch der Linkspartei, BIPoC Aktivismus für eigene Zwecke zu vereinnahmen. Namentlich wurde sie mehrfach aufgefordert nach vorne zu kommen. In der Sorge, sich in dem Rahmen weder angemessen erklären und verteidigen zu können, noch dem eigentlichen Anliegen der Gedenkveranstaltung gerecht zu werden, entschied sie sich dagegen, der Aufforderung nachzukommen. Daraufhin begannen Teilnehmer*innen der Gedenkveranstaltung laut „Feigling“ zu rufen. Die Veranstalter*innen – also Migrantifa Bremen – schauten dabei zu und stimmten in das anschließende Klatschen mit ein. In ihrer darauffolgenden Stellungnahme schreiben sie, dass sie sowohl mit der Kritik der Rednerin als auch mit der Ausdrucksform „zu 100%“ einverstanden seien. In der Stellungnahme lasen auch wir viele Vorwürfe, viel Kritik, viele vermeintliche Feststellungen und viele Antworten. So lauten weitere Vorwürfe gegen die besagte Aktivistin of Color und Fraktionsvorsitzende beispielsweise, dass sie sich seit Jahren aktiv an antirassistischen und antipatriarchalen Kämpfen sowohl parlamentarisch als auch außerparlamentarisch beteilige. Des Weiteren äußerten sie sich über einen auf Twitter und Facebook veröffentlichten Post einer Journalistin of Color, die den Umgang von Migrantifa Bremen während der Gedenkveranstaltung kritisierte. Migrantifa Bremen schloss daraus, dass es sich bei den Kritiker*innen lediglich um Einzelstimmen handle, die alle in freundschaftlicher Beziehung zu der Aktivistin of Color und Fraktionsvorsitzenden stehen. Zudem sprach Migrantifa Bremen ihre Selbstbezeichnung als Women of Color ab, markierte sie als weiße Person und missachtete damit ihre Lebensrealitäten und ihre Selbstpositionierung. Kurz vor der Veröffentlichung des Statements erreichte die Aktivistin of Color und Fraktionsvorsitzende ein 25-seitiges Manifest, verfasst von einer der Redner*innen auf der Gedenkveranstaltung, in welchem neben vielen Grenzüberschreitungen auch körperliche Gewaltphantasien gegen sie beschrieben waren. Dieses Manifest lag auch Migrantifa Bremen vor. Trotz dessen stellte sich Migrantifa Bremen bedingungslos hinter der Verfasserin des Manifests. Die Liste an Vorfällen ist länger. Doch vielleicht reichen die wenige Sätze aus, um zu spüren, „Mashallah, was los in Bremen“. Wir spüren es.

Wer wir sind

Wir sind keine homogene Gruppe. Wir Schreibenden sind überwiegend Frauen* of Color und einige mit uns verbündete Queere Männer* of Color. Wir sind hier in Bremen in unterschiedlichen antirassistischen und queerfeministischen Gruppen und Bündnissen aktivistisch unterwegs. Wir sind geflüchtet, sind migriert, sind hier geboren. Wir sind Heten, sind Queer, sind Akademiker*innen, sind Mütter, sind Arbeiter*innen, sind Muslim*innen, sind Atheist*innen, sind mehr oder weniger ableisiert. Wir machen unterschiedliche Erfahrungen in Almanya, genießen unterschiedliche Privilegien, erleben unterschiedliche Diskriminierungen und haben ziemlich bewegende und vielschichtige Lebensgeschichten und Realitäten. Es ist für uns selbst oft nicht leicht, direkt alle Punkte, an denen wir jeweils privilegiert sind oder diskriminiert werden, im Blick zu behalten. Dadurch sind wir uns bei vielen Themen einig, bei vielen anderen nicht. Wir streiten uns, lernen dazu und üben immer wieder, unterschiedliche Perspektiven und Widersprüche auszuhalten, unterschiedliche Lebensrealitäten zu würdigen. Unsere Diskussionen gehen weiter, während wir diese Zeilen schreiben. Wir sind uns nicht in allen Punkten einig. Doch wir finden auch, dass unsere Uneinigkeiten mehr zu unserer Stärke beitragen können, als ein Versuch, zwanghafte Einigkeit zu schaffen. Wir hoffen, dass die folgenden Zeilen euch zu mehr Fragen als Antworten inspirieren. Hayde, legen wir los!

Von Selbstbezeichnungen und Bündnisversuchen

Das Aberkennen der of-Color-Positionierung jener Aktivistin und Fraktionsvorsitzenden hat bei uns verschiedene Fragen aufgemacht: Wer ist wer warum eine Person of Color? Wer darf sich so bezeichnen? Wer entscheidet, wer sich so bezeichnen darf und wer nicht? Was ermöglicht eine Positionierung of Color, was verhindert sie? Innerhalb unserer Suchbewegungen verstehen wir den Begriff „People of Color“ als einen dynamischen, emanzipatorischen und grenzüberwindenden Bündnisbegriff; ein Bündnisbegriff, die der rassistischen Einteilung von Menschen nach einer vermeintlich eindeutigen ethnischen, nationalen oder kulturellen Zugehörigkeit eine solidarische Perspektive entgegensetzt. Wir nennen den Begriff dynamisch, da wir mit ihm weder eindeutige und feststehende Identitätsmerkmale beschreiben, noch ihn als universell und allgemeingültig verstehen. Wir nennen ihn grenzüberwindend, da er uns ermöglicht, nicht auf das zu schauen, was uns vermeintlich trennt, sondern auf das, was uns verbindet. Grenzüberwindend, da wir mit ihm die rassistische Praxis überwinden können, die danach fragt, woher du kommst und welche Hautfarbe du hast. Rassismus isoliert und trennt Menschen. Der Begriff People of Color verbindet. Wir nennen ihn emanzipatorisch, da in dem Begriff die politische Vision liegt, dass wir uns nicht mehr in der Weise von Rassismus regieren lassen müssen. Wir lassen uns von dem Rassismusforscher Kien Nghi Ha inspirieren und verstehen „People of Color“ als eine politische Selbstbezeichnungspraxis von Menschen, die in der deutschen Mehrheitsgesellschaft Rassismus erleben. Wir fragen nicht danach, wie oft und wie schlimm die Rassismuserfahrungen waren, damit eine Person sich als PoC bezeichnen darf. Wir fragen uns jedoch, ob die Aberkennung der Selbstbezeichnung „Frau of Color“ im Statement von Migrantifa Bremen nicht selbst in einer rassistischen Logik verstrickt ist. Nämlich in jener, mit der von Rassismus betroffene Menschen entlang von nationalen Zuweisungen fremdbezeichnet und von Bündnissen isoliert werden.

Von Leerstellen und unterschiedlichen Lesarten

Menschen, die wenig Einblick in die Bremer Polit-Szene haben und die Stellungnahme von Migrantifa Bremen lesen, könnten schnell den Eindruck gewinnen, dass eine außerparlamentarisch-migrantische Gruppe sich gegen Vereinnahmungsversuche einer Parlamentarischen Partei, die LINKE widersetzt. Stellvertretend für das Parlament steht hier eine der beiden Fraktionsvorsitzenden. Dieses Bild „Partei vs. außerparlamentarisch-migrantische Gruppe“ lädt zu verschiedenen  Lesarten ein. Eine Lesart könnte sein: „Ungerechtigkeit und parlamentarische Macht“ versus „Mut, Selbstorganisation und Widerstand“. Als wir die Stellungnahme lasen, stellte sich uns jedoch eine Frage, die möglicherweise zu einer weiteren Lesart führt: Warum wird in der Stellungnahme nicht offen gelegt, dass mindestens fünf Menschen von Migrantifa Bremen aktive Parteimitglieder der Linkspartei sind, teilweise Sprecherfunktionen inne haben oder Mitglied im Landesvorstand sind?  

Wir finden es immer gut, wenn BIPoC Personen sich weiße Räume, aus denen wir jahrzehntelang strukturell ausgeschlossen waren, schnappen und diese mit ihren Themen und Expertisen füllen. Aufgrund des jahrelangen strukturellen Ausschlusses und der mangelnden Repräsentation von Schwarzen Frauen* und Frauen* of Color auf den politischen Bühnen in diesem Land, ist es für uns immer auch ein politischer Gewinn, eine unserer Schwestern* auf jenen Bühnen zu sehen – trotz und mit allen Widersprüchen, die mit parlamentarischer politischer Praxis einhergehen. Unser Anliegen ist es daher nicht, Mitgliedern von Migrantifa Bremen für ihre Parteipolitik zu kritisieren, nein! Als Schwarze Menschen, People of Color, Migrant*innen haben wir unterschiedliche Interessen, unterschiedliche politische Positionen und kämpfen an unterschiedlichen Orten. So sind unsere Lebensrealitäten. Schwierig wird es, finden wir, wenn Migrantifa Bremen in ihrem Statement ihre zum Teil eigene Parteizugehörigkeit und -Funktionen nicht transparent macht und dadurch ein verzerrtes Bild nach außen erzeugt, aus welcher Position und mit welcher Perspektive sie ihre Kritik formuliert. Wir denken, dass eine Gruppe mindestens parlamentarisch geprägt ist, wenn sie zu einer bedeutenden Anzahl aus aktiven Parteimitgliedern besteht.

Ein weiterer Aspekt, über den wir lange diskutiert haben, ist, ob und inwiefern sich Migrantifa Bremen in ihrem Statement an einem Herrschaftsinstrument bedient hat. Vielleicht nicht in der Intention. Jedoch in ihrer Wirkung. Denn anstatt sich in emanzipatorischer Absicht kritisch mit Parteipolitik und parteipolitischen Machtinteressen auseinanderzusetzen, fokussiert sie sich auf eine der wenigen Frauen* of Color, die es in Deutschland überhaupt geschafft haben, sich einen Platz auf der politischen Repräsentationsebene zu erkämpfen. Nicht nur das: Die Gruppe hat ihre Kritik zudem an der Geschlechtskategorie „Frau“ festgemacht. Wir fragen uns enttäuscht: Warum sucht sich eine Gruppe, die sich als rassismuskritisch und feministisch bezeichnet, gerade die eine Women of Color heraus, um auf ihrem Rücken ihre Kritik an der Politik der Linkspartei auszutragen? Wieso erleben wir dies immer wieder? Wieso wird in einer solch personalisierten Form jene (wichtige) strukturelle Kritik geübt? Und vor allem: Wieso bedient sich eine rassismuskritische und feministische Gruppe wie Migrantifa Bremen einer eigentlich rechten Strategie und gibt in ihrem Statement den vollen Namen der Aktivistin of Color und Fraktionsvorsitzenden erneut in diesem Kontext preis, obwohl sie bereits wussten, dass jene dies aufgrund ihrer Positionierung als Frau of Color nicht möchte? Wieso arbeiten sie mit einer fremdbestimmenden Methode, mit der sie nicht „nur“ die Bitte einer Frau of Color übergehen, sondern sie auch einer potentiellen Gefahr aussetzen, von rechter Seite instrumentalisiert zu werden und rechte Hetze und Bedrohung (im Netz) zu erfahren? Und wenn es den Wunsch seitens Migrantifa Bremen gibt, personalisierte Kritik zu üben – wieso wird nicht zur Abwechslung ein weißer ableisierter cis-Mann in ähnlicher Funktion, mit der gleichen Vehemenz öffentlich kritisiert? Wieso fällt es „uns“ als Schwarze, People of Color, Migrant*innen oft noch so schwer, uns mit einer Schwester*, die ebenfalls von Rassismus und patriarchalen Strukturen negativ betroffen ist und die zugleich Unmengen von Kämpfen gegen Rassismus und Sexismus in dieser Stadt führt, zu verbünden? Verbundenheit schließt für uns Kritik nicht aus. Eine strukturelle Parteikritik, die aus einem solidarischen Verbundensein entsteht, verstehen wir als ein emanzipatorisches Instrument, die sowohl die Parteimitglieder aus der Migrantifa als auch die Fraktionsvorsitzende of Color hätte stärken können. Um genau das zu erkennen und sich nicht wieder an einer der wenigen Frauen* of Color abzuarbeiten, die eine repräsentative Funktion in einer Partei inne hat, um sich stattdessen mit ihr auch in der eigenen rassismus- und sexismuskritischen Absicht zu verbünden, bräuchte es verschiedene Commitments. Eins davon wäre, sich auf einen innerparteilichen Prozess einzulassen, der von Migrant*innen, Schwarzen und Personen of Color innerhalb der Linkspartei gemeinsam ausgehandelt wird. Vielleicht wird dies in Zukunft möglich sein. Doch in der aktuellen Situation ist es uns ein Anliegen, sichtbar zu machen, dass die „Grenze“ eben nicht, wie im Migrantifa Bremen-Statement dargestellt, zwischen außerparlamentarischen Aktivist*innen und einer Parlamentarin verläuft. Denn die Grenze verschwimmt. Nicht zuletzt auch deswegen, weil ein wesentlicher Anteil der Mitglieder der Migrantifa Bremen auch Mitglieder, Repräsentant*innen und Funktionsträger in der Linkspartei sind und sein wollen. Unser Angebot für ein emanzipatorisches Bild:

„Migrantifa Bremen feat. Vorsitzende of Color kämpfen gemeinsam in kritisch solidarischer Absicht gegen rassistische und patriarchale Parteistrukturen.“

Die ewige Dominanzdebatte um unsere präsenten Schwestern*

Viele unserer BIPoC Schwestern*, die sich selbstbestimmt für die unterschiedlichsten politischen Formen des Sichtbarseins entschieden haben, erleben, wie sie innerhalb weniger Momente von geschätzten Verbündeten und Freundinnen*, mehr oder weniger öffentlich zur Persona non grata erklärt werden. Das sind häufig Frauen*, deren Zeit, Expertise und Emotionen, deren Support, aktivistische Erfahrungen, deren stärkende Umarmungen und Argumente in der BIPoC Community (und auch von weißen Verbündeten) eine Zeitlang gerne und ganz selbstverständlich in Anspruch genommen werden. Es sind die gleichen Frauen* mit denselben Stärken, Fehlern, Expertisen und Emotionen, die jederzeit recht willkürlich zu einer dominanten, selbstsüchtigen, „Bühnen-geilen“ Kontrahentin umbenannt und dämonisiert werden. Die häufigste Praxis dieser Umbenennung geschieht im Hinterzimmer und die Kläger*innen sind häufig diejenigen, die vorher jene Frauen* gefeiert, ihre Expertise genutzt und ihre Person glorifiziert haben. Wir fragen in kritisch-emanzipatorischer Absicht: Wieso passiert das? Wieso machen viele unserer selbstbestimmten Schwarzen Schwestern* und Schwestern* of Color, die mit ihrer Expertise und ihren Stärken selbstbewusst nach außen treten, immer wieder solch ähnliche Erfahrungen? Wieso sind es FLINTs* und Women* of Color, die immer wieder Zielscheibe für den ‚Dominanzvorwurf‘ werden? Wir fragen. Und zugleich spüren und wissen wir eine mögliche Antwort: Wir bewerten diese Form des paradox-gleichzeitigen Sichtbar- und Unsichtbar-Machens von uns und unseren Schwarzen Schwestern* und Schwestern* of Color als ein strukturelles Phänomen innerhalb eines patriarchalen Machtgefüges. Diese Phänomen, das insbesondere Women* of Color schnell exotisiert und dämonisiert werden, das sie permanent die Erfahrung machen, von ihren Mitstreiter*innen und Freund*innen in gleichzeitiger Weise sichtbar und unsichtbar gemacht zu werden, von der Rolle der „Heldin“ in die Rolle der „Feindin“ gedrängt zu werden – all das sind weder neue Phänomene, noch sind sie eine individuelle Erfahrung einzelner Women* of Color. Warum also suchen sich Menschen genau die Schwarzen FLINTs* und FLINTs* of Color aus, deren Unterstützung sie vorher genossen haben? Warum werden unsere Schwestern* permanent fremdbestimmt „heldisiert“, um kurz darauf „dämonisiert“ zu werden? Warum wird Schwarzen Frauen* und Frauen* of Color in höheren Positionen oder mit mehr politischer Sichtbarkeit in der aktivistischen Szene immer wieder der Vorwurf gemacht, sie seien „zu dominant“, während cis-Männer in der gleichen Position als „klar, zielstrebig und selbstbewusst“ bezeichnet werden?

Antworten auf unsere Fragen finden wir mittlerweile in vielen Büchern und Erfahrungsberichten unserer Schwarzen Schwestern* und Schwestern* of Color – und in uns selbst. Uns hat es bittererweise nicht überrascht, dass von den zwei Fraktionsvorsitzenden genau die eine Frau* of Color zur Verantwortung gezogen wird. Starke und präsente Schwestern* sind nicht frei von Kritik. Eine beständige (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit unserer Haltung und unserem Handeln gehört für uns zu einer machtkritischen politischen Praxis. Doch das permanente und zum Teil organisierte Ernennen von präsenten Schwestern* of Color als „zu dominant“ basiert auf patriarchalen Vorstellungen, wie eine Frau* sich zu verhalten hat, wie sie zu reden hat und vor allem, wann sie zu schweigen hat. Bei der Ernennung einer „Frau* of Color“ als „zu dominant“ reichen sich zudem Sexismus und Rassismus die Hand. Denn hält diese Gesellschaft es noch zu wenig aus, dass Frauen* selbstbewusst auftreten, hält sie es noch weniger aus, wenn Migrantinnen* sich Positionen und Räume nehmen, die eigentlich für weiße Menschen und vor allem für weiße cis-Männer reserviert sind. Statt Solidarität, Support und solidarischer Kritikkultur herrscht Misstrauen, Abwertung, Kontrolle und schließlich Sanktion. Wir fragen uns: Was brauchen wir, um uns von diesen machtvollen Logik zu lösen, um uns von dieser zutiefst sexistischen und rassistischen Wahrnehmungsbrille zu befreien? 

Als einige von uns in den vergangenen zwei Wochen sich bemühten, ins Gespräch mit denjenigen zu gehen, die sich für jene Form der Kritik gegenüber der Aktivistin of Color und Fraktionsvorsitzenden entschieden haben, erhielten sie die mehr oder weniger explizite Rückmeldung, dass jene Kritik doch daher legitim sei, da derzeit „alle die gleiche Kritik haben“. Wir fragen uns dabei nicht nur, wer dieses „alle“ ist. Wir fragen uns auch, wieso dieses „alle“ unhinterfragt dafür benutzt wird, um jenen Inhalt und jene Form der Kritik zu rechtfertigen?

„A really bad idea, embraced by millions of people is still a really bad idea“ (Tony Blauer).

Wann ist Kritik ein emanzipatorisches Instrument und wann geht es um Machtdemonstration?

In den vergangenen Wochen haben wir uns oft gefragt, wie eine solidarische Kritikkultur aussehen kann. Wie können wir in unseren aktivistisch-migrantischen Communities Kritik als ein emanzipatorisches Instrument, das Gemeinsamkeiten und Differenzen aushält, einsetzen, anstatt uns zu spalten? Was ist der Unterschied zwischen emanzipatorischer Kritik und vernichtender Kritik? Wie kann Kritik sich auf den Gegenstand der Kritik beziehen und nicht die Geschwister* als Person angreifen? Welche Räume werden von uns geschaffen, damit unsere Kritik emanzipatorisch für unsere Geschwister wirken kann? Ist eine Demonstration im Gedenken an unsere ermordeten Geschwister der richtige Raum dafür? Lässt Kritik Raum für Entschuldigungen, Lernbewegungen, Wiedergutmachungen? Oder wird Kritik lediglich als ein Instrument zur Machtdemonstration genutzt? Wann und warum entstehen Dominanzvorwürfe gegen unsere Schwestern*? Welches tiefere Bedürfnis wird damit gestillt? Und wie schaffen wir es hingegen, Kritik an den einen oder anderen Verhaltensweisen und Handlungen zu üben, damit jene Schwester* gemeinsam mit uns reifen kann? Wann und warum äußern wir hinter ihren Rücken Kritik? Wann und warum äußern wir unsere Kritik vor „Außenstehenden“, die gar nicht Teil unserer Bündnisse und Communities sind? Welche Intention steckt dahinter und welche (ungewollte) Wirkung kann das haben? Yani: Was möchten wir persönlich und politisch mit unserer Kritik erreichen? Emanzipation oder Machtdemonstration? Wann vermischen sich persönliche Geschichten, persönliche Beziehungen und daraus entstandene Gefühle wie Enttäuschung, Wut, Neid, wie Gefühle des Verraten-worden-seins und gekränkte Egos in unsere „politisch gemeinte“ Kritik? Legitime Gefühle, die aber auf der öffentlichen Bühne oder in unseren politischen Kämpfen ausgetragen, nur für „Familiendrama“ und anschließenden Entzweiungen sorgen anstatt für Geschwisterliche Emanzipation.

Who said it was simple? 

Wir haben viele nicht einfach zu beantwortende Fragen. Doch wir denken auch, dass es gar nicht so sehr darum geht, eindeutige Antworten zu finden, sondern den Prozessen nachzuspüren, die zunächst in uns selbst und später in unseren Gruppen möglich werden, wenn wir uns trauen, uns diese Fragen zu stellen. Wir sind überzeugt davon, dass die Qualität und Stärke migrantischer Gruppen sich nicht durch eine vermeintliche Einheit ergibt. Sondern dadurch, ob unsere Gruppen in der Lage sind, Differenzen auszuhalten und auszuhandeln. Ob unsere Gruppen der Versuchung widerstehen können, ein einheitliches „Wir“ herzustellen, was allzu oft schon in eine Gruppendynamik gemündet ist, die mit Ein- und Ausschlüssen von jenen Personen endet, die sich (nicht) dem Einheits-Wir anpassen können oder wollen. Und schließlich dürfen wir nie vergessen, dass es immer Zuschauer*innen gibt, die sich entspannt zurücklehnen und unsere Spaltungen und Entzweiungen genießen. Erinnern wir uns gegenseitig an die Faust, die aus ganz unterschiedlich geformten Fingern besteht. Erinnern wir uns daran, dass genau diese Unterschiedlichkeit der Fingerformen ihre Stärke ist und sie auch nur deswegen zu einen stabilen Faust wird. Eine stabile Faust, die gesellschaftliche Macht- und Gewaltverhältnisse schlussendlich zu zerschmettern vermag.

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